Georginen, Dahlien und Fontane

Von Namensgeschichten, literarischen Spuren und kolonialem Denken

Die war nun selber keine »Försterei« mehr, sondern präsentierte sich als ein villenartiges Landhaus, auf dessen Vorplatz allerlei seltene Pflanzen im Freien oder in großen Kübeln standen: Aloe, Hortensien und Georginen, die gerade damals in die Mode gekommen waren. (Theodor Fontane, Fünf Schlösser, 1888/1889)

Georginen? Noch nie gehört? Ich auch nicht. Dabei ist die seltene Pflanze für uns gar nicht so selten – es ist eine Dahlie. Die Blume heißt erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts Dahlie, wobei wohl anfangs der Plural, also Dahlien, üblich war. Warum wusste das Fontane nicht und spricht von Georginen? Er hat das Buch 1888/1889 geschrieben.

Mehrere Botaniker, zwei Namen und ein Irrtum

Die Dahlie, eine Zierpflanze, die wir in vielen Varietäten kennen, stammt ursprünglich aus Mexiko. Erste schriftliche Belege haben wir von dem spanischen Arzt Francisco Hernandez, der 1575 erste Bilder von der Pflanzen zeichnete. Nach seinem Tod wurden diese Abbildungen veröffentlicht, das war 1615 bzw. 1651.

1791 arbeitete Vicente Cervantes im Botanischen Garten von Mexiko-Stadt. Er hatte Dahlien-Samen, die er Antonio José Cavanilles schickte. Der arbeitete im Real Jardín Botánico de Madrid und war später dort auch Direktor. Er säte die Samen aus, es wuchsen halbgefüllte Dahlien („Dahlia pinnata“) und er schrieb eine wissenschaftliche Erstbeschreibung – und gab der Blume, zu Ehren des schwedischen Botanikers Andreas Dahl, den Namen „Dahlia“. Später kamen noch die „Dahlia rosea“ und die „Dahlia coccinea“ dazu, und noch viel später wurden zwei Malvengewächse nach ihm benannt. So, nun hießen die Blumen Dahlien.

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Bis 1805 ein anderer Botaniker, nämlich Carl Ludwig Willdenow die Blumen entdeckte und dachte, er hätte eine ganz neue Blume entdeckt und sie nach dem St. Petersburger Botaniker Johann Gottlieb Georgi benannte. Nun hieß die Dahlie Georgina bzw. Georgine bzw. Georginen. 1810 wurde der Irrtum zwar richtiggestellt, aber der Name Georgine war längst unterwegs und gebräuchlich.

Bis sich der Irrtum herumgesprochen hatte und die Bezeichnung Dahlie üblich wurde, dauerte es bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Heute heißt sie fast überall Dahlie, lediglich in manchen Regionen kommt die veraltete und volkstümliche Bezeichnung Georgine vor: Im Russischen Георгин (Georgin) oder Далия (Daliya) und im Polnischen Dahlia oder Georgina.

Die kulturelle Aneignung einer indigenen Pflanze

Wie so oft war der indigenen Bevölkerung, in unserem Fall den Azteken, die Dahlie natürlich längst bekannt – und zwar sehr lange, bevor die Knollen im 18. Jahrhundert nach Europa gelangen.

Natürlich nannten sie die Blume nicht Dahlie, sondern Cocoxochitl. Ausgesprochen wird das ko-ko-ßo-tschi-tl, cocox heißt Knolle oder Wurzel, xōchitl heißt Blume. Die Dahlie ist eine Knollenblume, Wurzelblüte oder Wasserpfeifenblume – und weist damit auf variable Nutzungsmöglichkeiten: als Heilmittel, rohe,gekochte oder gebratene Wurzeln als Nahrungsmittel (sie schmecken leicht süßlich und ähneln Kastanien) und als Wasserrohr oder sonstiges Rohr. Vielleicht wurde die Dahlie deswegen 1963 zur Nationalblume Mexikos.

Und das alles nur, weil ich Fontane lese. Lesen bildet halt. Und regt zu Nachforschungen an.

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