Letztens hat jemand versucht, sich in mein Blog zu hacken. Das passiert öfter. Wer auch immer versucht, meinen Benutzernamen und mein Passwort zu knacken, scheitert bisher. Manchmal sind die Versuche, die ich per Mai bekomme, interessant, manchmal amüsant. Besonders die Namenswahl überrascht zuweilen. Letzte Woche war es der vermeintliche Name „kurwa“.
Zuerst war ich erstaunt, dann habe ich gelacht – und an meinen Opa gedacht. Mein Opa war ein handfester Mann mit ordentlich Temperament und reichlich Humor. Natürlich hat er geflucht! Wie ein Bierkutscher! Wenn er sich mit dem Hammer, trotz aller Geschicklichkeit, auf den Daumen haute. Wenn etwas nicht sofort funktionierte wie gewünscht, und dann plötzlich doch.
Allerdings war er auch gut erzogen und hatte eine aufmerksame Ehefrau. Worte wie Schei*** wären ihm nie über die Lippen gekommen. Da hätte Oma eingegriffen. Aber Opa war auch nicht blöd und einfallslos. Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen war das Wort „Kurwa!“, das Opa gerne als Fluch für alle Gelegenheiten nutzte. Jedes Mal, wenn Opa inbrünstig „Kurwa!“ von sich gab, entfuhr Oma ein empörtes „Hermann!“, während sie sich mühsam ein Grinsen verkniff.
Selbstverständlich übernahm ich es freudig und irgendwann begann auch ich, zu allen passenden und unpassenden Gelegenheiten, „Kurwa!“ zu rufen – ohne zu wissen, was ich da sagte. Opa lachte dann, wie er es gerne tat, Oma gefiel es gar nicht, meine Mutter wusste nicht, was ich da sagte und mein Vater grinste und erklärte mir, fluchen sei nicht so toll. Das verstand ich gar nicht! Warum sollte etwas, was mein Opa machte, schlecht sein? Also fragte ich nach – bei Opa!
Mein Opa kam aus Ostpreußen, aus einer Gegend, in der sich nicht nur die Ländergrenzen immer wieder verschoben, auch die Sprachen beeinflussten sich gegenseitig: Deutsch und Polnisch gingen ineinander über. Meine Oma kam ebenfalls aus Ostpreußen, doch falls sie je fluchte, dann nur so, dass ich nichts verstand – sie murmelte etwas und lediglich aus dem Tonfall konnte ich mir zusammenreimen, dass sie fluchte. Polnisch konnten sie beide nicht, einzelne Wörter schon. Und unser Nachname mutet polnisch an, was durchaus sein kann, aber nicht belegt ist.
Mittlerweile weiß ich, dass „Kurwa“ manchmal auch „Kurva“ oder „Curva“ geschrieben wird und in vielen Sprachen vorkommt. In Polen und vielen slawischen Ländern war und ist es sehr gebräuchlich. Die Bedeutung geht über die Übersetzung hinaus: Eigentlich bedeutet „Kurwa“ Hure, Prostituierte, Schlampe oder eine Frau, die viel Sex hat. Aber je nach Situation, Kontext, Betonung, Lautstärke, Sprechtempo, Akzent und Tonhöhe kann das Wort weitaus mehr ausdrücken:
„Kurwa“ kann
• ein Schimpfwort,
• ein Ausruf der Überraschung/des Erstaunens,
• ein Ausdruck von Bewunderung,
• eine Beschimpfung sein,
• und auch Frustration ausdrücken.
Das Sch****-Wort entspricht „Kurwa“ wohl nur bedingt. Genau wie mein Opa es meinte und nutzte, ist es eine komplexe, vielschichtige Sache: „Kurwa!“ kann am besten mit Mist, Unsinn, Dummtüch, Himmelnochmal, Verdammtnochmal, unglaublich, IstjaeinDing, kaum zu glauben, huch übersetzt werden – alles vereint in einem kleinen Wort. Ein kleines, kurzes Wort, das in viele Situationen passt, jegliche Emotionen verbalisiert und zu jeder Gelegenheit trifft. Freude, Überraschung, Ärger, Missfallen – „Kurwa!“ geht immer.
Ursprünglich deutet die Etymologie auf das slawische Wort „kury“, was so viel wie „Huhn“ oder „Henne“ bedeutet und wohl wertfrei war. Das änderte sich und wurde zu einer aggressiven Beleidigung. Natürlich ist es falsch, Frauen derart herabzusetzen und zu beschimpfen. Niemand darf generell und verbal diskriminieren, abwerten und Macht ausüben! Mein Opa hätte Frauen nie so genannt, allein schon, weil er mit Oma so richtig Ärger bekommen hätte. Opa hielt nicht viel von Geschlechterrollen, Oma auch nicht. Alles, was Oma gemacht hat, machte auch Opa. Knöpfe annähen? Kochen? Putzen? Einen Nagel in die Wand hauen? Keine Frage, das konnten beide und taten es auch. Vielleicht mag ich deswegen Werkzeug und kann damit umgehen, und gleichzeitig nähe ich auch gerne.
Zurück zu „Kurwa!“. Es ist umgangssprachliches, vulgäres Wort – und das bedeutet: Es sollte auch mir nicht aus alter Gewohnheit rausrutschen! Ab und an entfleucht mir „Kurwa!“ dennoch, allerdings im Oma-Style – ich murmel etwas, das niemand versteht. Ich will mich schließlich nicht mit Oma anlegen.