ein übelgelaunter grüner vogel
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Radau, Rabatz und Sirach

Ihr kennt das: Es gibt Tage, an denen geht alles schief. Ganz egal, was man macht – es geht schief! Dann stehe mit dem sogenannten falschen Fuß auf (mit rechts, weil ich linksläufig ticke), laufe vor eine Tür, stoße mir den Zeh und mein Arm bekommt einen blauen Fleck von der Türklinke, alle Gegenstände fallen mir aus den Fingern, ich verkippe Tee und der Müll fällt daneben! Solche Tage sind heillos doof, Kleinigkeit reiht sich an Kleinigkeit und eigentlich kann ich nur hoffen, dass der Tag glimpflich weitergeht und ganz bald vorbei ist. Ohne allzu große Blessuren, wenn möglich.

Solche Tage nerven, sind anstrengend und gehen oft quälend langsam vorbei. Sie deprimieren und machen manchmal auch wütend. Im Ruhrgebiet sagt man dann gerne: Kerr, ich könnte einen verkloppen! Das ist nicht wortwörtlich zu verstehen, sondern verleiht lediglich den hilflosen Gefühlen einen sprachlichen Rahmen und Ausdruck.

Letzte Woche war so ein Tag: Ich wachte mit verstopfter Nase und pfeifenden Bronchien auf – und blieb auf dem Weg vom Bett zum Örtchen mit dem Fuß in der Bettdecke hängen, stolperte, krachte knapp zwischen Fensterbank und Bettpfosten fast auf den Boden, stieß mir den Bettpfosten in den Oberschenkel und wankte von dannen. Der Tag ging dementsprechend weiter: Alles, was ich anfasste, fiel auf den Boden, ich schnitt mich beim Gemüseschnibbeln, mein Computer gab unerwartet den Geist auf … es war ein reichlich bescheidener Tag, und irgendwann war es so weit – ich knurrte: Boah, ich könnte jetzt einen verkloppen bisser lacht!

Mein Gespons, der weltbeste und verständnisvollste Mann, entgegnete: Lass es raus! Meinetwegen kannst du auch sirachen!

Ein fragender Blick von mir folgte der Aussage, der einer Erklärung bedurfte: Was soll ich tun? Sirachen? Was ist das? Habe ich schon einmal sirachen gehört oder jemals getan?

Spontanes Suchen brachte die Erleuchtung. Sirachen ist ein Helvetismus. Menschen in der Deutschschweiz können sirachen und wahrscheinlich auch sirachend sein! Es bedeutet das, was wir als so richtig schön wüten, schäumen, poltern und wöltern kennen.

Jemand kann auch ein Sirach sein, das entspricht dem, was wir Wüterich nennen. (Auch so ein schönes Wort!)

Natürlich wurde das helvetische Wort, wie so manches, nicht in der Schweiz erfunden: Es geht zurück auf den Propheten Sirach bzw. Jesus Sirach. Was öfter im deutsch-schweizerischen Deutschen vorkommt, passierte auch in diesem Fall – aus einem Substantiv wird ein Verb gemacht!

Beim Barte des Propheten: Jesus Sirach

Wer war nun dieser Sirach? Sirach war ein ziemlich sanftmütiger, tugendhafter Langweiler, finde ich, aber das ist wahrscheinlich Ansichtssache. Der jüdische Weisheitslehrer Jesus Sirach oder Ben Sira aus Jerusalem schrieb im Zeitraum von 175 bis 200 v. Chr. ein Buch namens Ecclesiasticus (Das Buch der äußerst tugendhaften Weisheit des Yeshua ben Sira). Inspiriert wurde er von seinem Vater Joshua Ben Sirach, der manchmal auch Jesus, Sohn von Sirach oder Yeshua ben Eliezer ben Sira genannt wurde.

Das Buch schrieb er in hebräischer Sprache (wie es halt in Jerusalem häufig so war und ist); es wurde später von einem nicht namentlich bekannten Enkel in Ägypten in die griechische Sprache übersetzt – der noch einen Prolog hinzufügte, der nicht zu datieren ist. Es wurde in die Septuaginta, quasi die griechische Bibel der Juden, aufgenommen und gehört im deutschsprachigen Raum zu den Apokryphen, also zum Alten Testament, was es sehr, sehr alt und sehr, sehr wichtig macht.

Ich könnte nun noch über „Die Übersetzung der Siebzig“, die Septuaginta, das griechische Alte Testament und somit die älteste Übersetzung der aramäisch-hebräischen Bibel ins Griechische erzählen, aber ich soll ja nicht immer so übertreiben. Sonst wissen wir nicht viel über Herr Sirach.

Bleibt eine Sache: Wenn Sirach so ein sanftmütiger, geduldiger und nachsichtiger Mensch war, warum bedeutet das Verb sirachen überhaupt lärmen, toben, rumbrüllen? Wenn Sirach fast schon phlegmatisch war, wieso bedeutet sirachen in der Deutschschweiz dann wöltern?

Dazu gibt es eine schöne Wortgeschichte im Idiotikon:

Nachschlag: Carl Kortum seine Jobsiade

Eigentlich müsste ich Herrn Sirach sogar kennen, seine Name kommt im Lokalgut Bochums vor, da heißt es nämlich in der Jobsiade von Carl Arnold Kortum:

„Nie mischte er sich in fremde Händel und Sachen,
Dachte vielmehr an die Lehre des alten Sirachen:
Was deines Amts nicht ist zu Ohnwitz,
Da laß, liebes Kind! deinen Vorwitz!“

Quellen & Links

Idiotikon

Sirach-Synopse

Jesus Sirach / Ecclesiasticus

Wortgeschichte im Idiotikon

Carl Arnold Kortums Jobsiade